PSI-Biologe Jacopo Marino und sein Team erforschen auch den Sehsinn.Paul Scherrer Institut/Markus Fischer

Das Wichtigste in Kürze

  • Ein Protein in den Stäbchenzellen der Netzhaut ermöglicht dem Auge bei Dämmerlicht zu sehen.
  • Als Ionenkanal in der Zellmembran sorgt das Protein für die Weiterleitung des Sehsignals vom Auge ans Gehirn.
  • Neue Hoffnung für bisher unheilbare Erbkrankheiten wie Retina Pigmentosa, die zur Erblindung führen.

«Den Stäbchenzellen in unserem Auge verdanken wir es, dass wir die Sterne am Nachthimmel betrachten können», erklärt Jacopo Marino, Biologe im PSI-Labor für biomolekulare Forschung. «Diese Sinneszellen sind so lichtempfindlich, dass sie selbst ein paar Photonen detektieren, die uns von Orten weit weg im Weltall erreichen – wirklich erstaunlich.» Dass wir diese Lichtstrahlen dann am Ende als Seheindruck im Gehirn wahrnehmen, liegt unter anderem an dem sogenannten CNG-Ionenkanal, dessen dreidimensionale Struktur PSI-Forschende rund um Jacopo Marino jetzt entschlüsselt haben.

Über das Paul Scherer Institut (PSI)

Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Materie und Material, Energie und Umwelt sowie Mensch und Gesundheit. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2100 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 400 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL.

Kontakt/Ansprechpartner PSI zum Thema:

Dr. Jacopo Marino
Labor für biomolekulare Forschung, Strukturbiologie Membranproteine
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 57 77, E-Mail: jacopo.marino@psi.ch [Englisch, Italienisch]

Kanalprotein öffnet und schliesst das Tor zur Sinneszelle

Der Ionenkanal besitzt die Aufgabe eines Pförtners, der regelt, ob und welche Teilchen ins Innere der Sinneszelle gelangen können. Er ist in die fettreiche Hülle – die Zellmembran – der Stäbchenzellen eingebettet. In der Dunkelheit ist der Ionenkanal und damit das Tor in die Zelle vollständig geöffnet. Trifft aber Licht auf das Auge, wird in den Stäbchenzellen eine Kaskade von Prozessen in Gang gesetzt. Das sorgt letztendlich dafür, dass sich das Tor schliesst und positiv geladene Teilchen wie Kalziumionen nicht mehr in die Zelle strömen können. Dieses elektrochemische Signal setzt sich über Nervenzellen bis ins Sehzentrum des Gehirns fort, wo wir dann zum Beispiel einen Lichtblitz wahrnehmen.

Erfolg nach 20 Jahren Forschung

«Die Idee, die Struktur dieses wichtigen Ionenkanals aufzuklären, entstand vor fast 20 Jahren, als Gebhard Schertler und Benjamin Kaupp bereits an diesem Thema forschten», sagt Jacopo Marino. Beide sind Co-Autoren der Studie, die in «Nature Structural & Molecular Biology» erschien. In aufwendiger und langwieriger Arbeit isolierte die Doktorandin Diane Barret das Kanalprotein aus Kuhaugen, sprich aus Schlachtmaterial. «Das war eine sehr herausfordernde Aufgabe, denn das Protein ist sehr empfindlich und zersetzt sich schnell. Auch liegt es in nur sehr geringen Mengen in dem Ausgangsmaterial vor», so Barret. Es dauerte ganze zwei Jahre, um genügend Protein zu bekommen, das sich untersuchen liess. Mit der Technik der Kryo-Elektronenmikroskopie ermittelten die Forschenden schliesslich die dreidimensionale Struktur des Ionenkanals. «Im Gegensatz zu anderen Arbeiten zur Struktur des Ionenkanals, die bereits existieren, haben wir das native Protein untersucht, so wie es im Auge vorliegt. Wir sind also viel näher an den realen Bedingungen, wie sie im Lebewesen existieren», sagt Diane Barret.

Neue Hoffnung für bisher unheilbare Erbkrankheiten

Die natürliche Struktur des Kanalproteins genau zu kennen, ist unter anderem wichtig, um Behandlungen für bisher nicht heilbare Erbkrankheiten zu entwickeln, gegen Retinitis pigmentosa etwa. Dabei sterben die Sehzellen nach und nach ab, die Menschen erblinden. Eine mögliche Ursache ist, dass der Körper das CNG-Kanalprotein aufgrund eines Fehlers im Erbgut nicht richtig herstellen kann. Der Ionenkanal schliesst sich daher bei Lichteinfall nicht vollständig, daher kommt das elektrochemische Gleichgewicht in der Zelle durcheinander, woraufhin die Zellen absterben.«Findet man Moleküle, die derart auf das Protein einwirken, dass der Kanal sich vollständig schliesst, könnte man das Absterben der Zellen verhindern – und damit auch, dass die Menschen erblinden», erklärt Jacopo Marino. Jetzt, wo die genaue Struktur des Proteins bekannt ist, lässt sich gezielt nach solchen Molekülen suchen.

Zusätzliche Funktionsschranke entdeckt

Das Protein setzt sich aus vier Teilen zusammen: dreimal die Untereinheit A, einmal die Untereinheit B. Nur in dieser Kombination bildet sich ein funktionsfähiger Ionenkanal. Die PSI-Forschenden zeigen in ihrer Studie, warum die B-Untereinheit offensichtlich eine so wichtige Rolle spielt: Ein Seitenarm des Proteins, eine einzige Aminosäure, ragt aus dem Rest des Proteins hervor, ähnlich einer Schranke an einem Pförtnertor. Dadurch wird der Durchgang im Kanal derart verkleinert, dass keine Ionen passieren können. «So etwas hat niemand erwartet – wir waren total überrascht», sagt Diane Barret. Denn es existieren bereits andere Engstellen in der A-Untereinheit, Haupttore quasi, die man bisher für die einzigen gehalten hat. Interessanterweise findet sich die zusätzliche Schranke nicht nur im Protein des Kuhauges, sondern quer durch alle Tierarten, wie die Forschenden zeigten. Vom Krokodil über den Adler zum Menschen – alle Lebewesen, die den Ionenkanal in ihrem Auge ausbilden, haben an dieser Stelle des Proteins die gleiche, herausstehende Aminosäure. Da sie in der Evolution so konstant beibehalten wurde, muss sie für die Funktion des Kanals unabdingbar sein.

Quelle: Paul Scherer Institut

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